Dienstag, September 10, 2013

María Eloy-García (Essay und Vita) und Udo Kawasser

María Eloy-García


Die Spoken Word Dichterin María Eloy-García (*1972, Spanien) studierte Geographie und Geschichte. Als Teilnehmerin an verschiedenen Poetry Slams machte sie sich in der Szene einen Namen. In ihren innovativen Gedichten unterläuft Eloy-García herkömmliche Erwartungen. Sie greift zunächst gängige Empfindungen, Eindrücke, Gewohnheiten auf, nur um sich ihnen dann durch ihre eigenwillige Sprache zu widersetzen. Mal ironisch, mal surrealistisch beschreibt sie das menschliche Verhalten in Alltagssituationen: im Bus, in der Warteschlange, im Fahrstuhl. María Eloy-García hat an Zeitschriften wie „Litoral“, „El maquinista de la generación”, “Fósforo” mitgewirkt. 2001 wurde sie mit dem Preis „Carmen Conde“ ausgezeichnet.


Ihre Gedichte wurden ins Deutsche übertragen von Dichter, Tänzer und Übersetzer Udo Kawasser. Udo Kawasser (1965), wuchs am österr. Bodensee auf, studierte dt., frz. und span. Philologie in Innsbruck und Wien. Zeitgenössischer Tänzer, Dichter und Übersetzer spanischsprachiger Literatur. 2007 erschien die Prosa Einbruch der Landschaft. Zürich – Havanna, 2008 kein mund. mündung (Gedichte). Nach dem illustrierten Gedichtband vom augenrand, 2011, publizierte er 2012 kleine kubanische grammatik (Gedichte). Erhielt zuletzt das österr. Staatsstipendium für Literatur und den Vorarlberger Literaturpreis.




In Ihrem Essay zur BARDINALE findet  María Eloy-García deutliche Worte zu Europa und straft all jene Lügen, die zahncremeweißlächelnd glänzende Ideale beschwören, die längst von wirtschaftlicher Realität überschattet sind:
 
Europa ist eine Lüge. Eine Einheit lässt sich nicht auf der Grundlage unterschiedlicher Budgets herstellen, Kulturen dürfen nicht wegen einer Währung ausgelöscht werden, man darf eine Gemeinschaft von Menschen nicht nur in Hinblick auf einen Aspekt, nämlich die Wirtschaft, betrachten. Sie stellen uns mit Wohlstand zufrieden, um uns die Seele zu nehmen, die leer durch unsere Zeit irrt. Wir sind Eurozentriker und Abendländer, aber langsam bringen uns die Unterschiede, das Bodenständige, das Freidenkerische, das Besondere, das immer schwerer zu kontrollieren ist, um. Dennoch bestehen Ungerechtigkeiten weiter, gibt es Menschen, die Zeit haben und solche, die keine Zeit haben zum Nachdenken, zum Kritisieren, um zu überlegen, was sie glauben sollen. Wir denken alle gleich, ziehen uns gleich an, entscheiden von gleichen Voraussetzungen ausgehend auf dieselbe Art, was richtig ist und was nicht. Wir haben eine Maschine zur Schaffung von Wohlstand geschaffen, eine Maschine, die die Toten und Enterbten unter den Teppich kehrt, wir haben eine Maschine geschaffen, die identische Menschen produziert, unpersönlich in jedem Twitter, jeder SMS und auf jedem Foto der Wirklichkeit. Während in der übrigen Welt die Wahrheit vielstimmig, klug und beweglich zusammengebastelt wird, machen wir hier mit der alten Angewohnheit weiter und lassen zu, dass sich die Dinge von innen her zerstören. Wir erlauben den Freigeistern aber nicht sich hervortun, denn wir beurteilen sie, wir subventionieren sie, wir behandeln sie mit der Distanz, die die „Hoch“-Kultur für richtig hält. Die „Hoch“-Kultur hat sich so weit von den Leuten entfernt, ist so wenig demokratisch, so von sich eingenommen, dass man bisweilen keine Lust mehr hat hinzusehen.

Europa ist eine Lüge, sowohl was das Denken, als auch was die Freiheiten betrifft. Es ist eine Erfindung von Technokraten, um dem Handel bessere Chancen zu verschaffen, dem Einzigen was wirklich frei ist. Ansonsten versuchen wir in unseren Ländern weiterhin die kleinen Missstände unserer ungerechten Märkte, unserer Schulden, unseres von innen betrachteten Ichs zu beheben. Mir reicht es, alte Reden zu neuen Problemen zu hören. Wenn wir neue Lösungen suchen wollen, dann hat es keinen Wert dieselben Fragen zu stellen. Wir müssen an das Grundlegende rühren, an die Vielfalt, das Schwierige, an das, was Zeit braucht, um sich herauszukristallisieren und stark zu werden. Während die Märkte ihr Spiel spielen, schaut der Dichter auf seine Quote, die schon lange nicht mehr steigt, und spürt, wie er sein Interesse verliert.  Nach dem gesponsorten Hass, der abgestimmten Gewalt, der subventionierten Traurigkeit, dem automatisierten Schmerz, den von Bedeutung gereinigten Worten und der angeeigneten Leere bleibt uns nur mehr der zarte Glanz einer DNA-Sequenz, die wir aus jener Ursuppe geerbt haben, und die den Namen Überleben trägt.


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